SELBSTERFAHRUNG

Das Encounter-Training


Definition
Encounter bedeutet zu Deutsch Begegnung (Kontakt, Treffen). Im Zusammenhang mit Humanistischen Psychologie ist mit Encounter die Arbeit innerhalb einer Gruppe gemeint.


Historisches
Der in Wien aufgewachsene Psychiater, Dichter und Sozialphilosoph Jakob Levi Moreno wurde 1889 in Bukarest geboren und wanderte 1925 nach Amerika aus. Er entwickelte die Soziometrie und das Psychodrama und ist Begründer der Gruppenpsychotherapie. Moreno bezeichnete sein Konzept der Encounterarbeit als Vorläufer des österreichischen Existenzialismus (1914).

Da Moreno sich später der Entwicklung von Gruppenpsychotherapie und Psychodrama zuwandte, ist sein früher Einfluss auf die Encounterbewegung wenig bekannt. Er starb 1974 in Beacon, USA. Die entscheidenden Konzeptvorstellungen dieser Gruppenarbeit werden in den 60er Jahren von den Personen Carl C. Rogers und Will Schutz geprägt, die auf Forschungsergebnissen von Laing, Maslow, Perls basieren. Ausgangspunkt war das Sensivity-Training (T-Gruppen Training), das 1947 in den USA entstand. Die beiden Hauptformen der Encounter-Therapie sind die „Basic Encounter" von Carl Rogers und die „Open Encounter" von Will Schutz.

 

Beschreibung
Eine Encounter-Trainingsgruppe besteht im Normalfall aus 6 bis 12 Personen (es gibt jedoch auch Berichte von äußerst erfolgreichen Großgruppen) die unter ein bis zwei Trainern oder Therapeuten arbeiten. Dabei werden verschiedene Therapieformen, Übungen und Techniken, unter anderem aus der Gesprächspsychotherapie, der Gestalttherapie und dem Psychodrama verwendetet. Für die Übungen gibt es keine festgelegte Struktur. Jedes Mitglied ist für die Gruppenaktivität in gleicher Weise verantwortlich. "Encounter ist eine Methode, persönliche Beziehungen herzustellen auf der Grundlage von Offenheit und Ehrlichkeit, Selbst-Wahrnehmung und Selbstverantwortlichkeit, Körperbewusstsein, Beachtung der Gefühle und der Betonung des Hier und Jetzt. Gewöhnlich findet Encounter im Rahmen einer Gruppe statt. Encounter steht der Therapie nahe, wenn es unsere inneren Fesseln zu lösen versucht oder nähert sich der Pädagogik und Religion, wenn es eine weitgehende Entfaltung unserer persönlichen Fähigkeit anstrebt." (W. Schutz, Encounter; 1977, ISKO)


Biografische Ereignisse der Teilnehmer werden zunächst nicht berücksichtigt, im Mittelpunkt steht das Hier und Jetzt. Das vordergründige Lernziel sind Emotionen. Durch die intensive Begegnung sollen die Teilnehmer lernen, einfühlsamer auf die Gefühle anderer einzugehen und die eigenen Gefühle besser ausdrücken zu lernen. Der Trainer achtet darauf, dass die Gruppenmitglieder spontan und ungehemmt Emotionen (Aggressionen, Sympathien, Antipathien) äußern können. Die Gruppe soll Geborgenheit bieten um Blockaden abbauen zu können und Gefühle leichter ausleben zu können. Der Trainer soll den Gruppenprozess aber keinesfalls steuern, sondern nur fördern. Feedback erhalten die Teilnehmer durch die direkten Rückmeldungen der anderen.
Dadurch bekommt jeder Teilnehmer ein erhöhtes Bewusstsein dessen, wie ihn andere sehen, und erlangt die Fähigkeit, sich anderen gegenüber in einer Weise zu verhalten, die mit seinen eigenen Zielen übereinstimmt. Durch die Analyse der Vorgänge innerhalb einer Encounter-Gruppe wird die Selbsterfahrung gefördert. Die Erfahrung kann eine kognitive Zufuhr an Material einschließen.
Hauptsächlich geht es dabei darum, zu lernen, was Spiel und Freude ist.


Darstellung der Methodik
Die beiden Konzepte von Rogers und Schutz haben verschiedene methodische Ansätze als Hintergrund.


Das Encounter-Konzept von Rogers
Rogers nennt im Zusammenhang mit dem Encountergruppenkonzept Prozessvariablen. Diese Prozessvariablen entsprechen überwiegend jenen Variablen, die auch in seiner Individualtherapie in Form der Gesprächspsychotherapie genannt werden.

 

Variablen des Gruppenleiters:


• empathisches Verstehen
• Wertschätzung
• emotionale Wärme Echtheit             

Variablen der Gruppenteilnehmer:


• Selbstexploration
• Experiencing

 


Unter Selbstexploration (consciousness raising) wird die Zunahme an Information über sich selber und über ein Problem verstanden, ein Selbsterleben zusammen mit dem Suchen und Klären von Zusammenhängen. Für die Verhaltensweise innerhalb der Gruppe folgende Variablen hilfreich:


• Konfrontation und Feedback
• Äußern eigener Gefühle
• Äußern eigener Probleme


Der Gruppenleiter von Basic-Encountergruppen muss die von den Teilnehmern geäußerten persönlich-emotionalen Erlebnisinhalte mit einem hohen Ausmaß an Wertschätzung, Wärme, Sympathie und Echtheit aufzunehmen.
Für die gelten für den Gruppenleiter folgende Verhaltensrichtlinien:


• Starke Zurückhaltung des Eingreifens in den Gruppenprozess
• Themenbestimmung durch die Gruppe
• Herstellung eines akzeptierenden Klimas
• Vermittlung warmherziger Verhaltensweisen im Eingehen auf Probleme einzelner Gruppenteilnehmer sowie der gesamten Gruppe
• Selbstverständnis des Gruppenleiters als so genannter erfahrener oder mehr oder weniger gleichberechtigter Gruppenteilnehmer
• Persönliches Einbringen des Gruppenleiters, sofern es den Verlauf der Gruppe betrifft und ihn nicht behindert
• Aufmerksames Zuhören und Ermitteln der Bedeutung von Mitteilungen
• Ansprechen der eigenen Gefühlswelt im Hinblick auf einzelne Gruppenteilnehmer und auf die Gesamtgruppe
• Feedback geben, d. h. Konfrontation einzelner Teilnehmer mit den Eigenarten ihres Verhaltens, indem eigene Gefühle in Bezug zu den konkreten Verhaltensweisen geäußert werden
• Vermeidung von Interpretationen des Gruppenprozesses
• Vermeidung von Interpretationen über Ursachen und Motive des Verhaltens einzelner Gruppenteilnehmer
• Weglassen von vorgefertigten Übungen, Rollenspielen usw. Diese werden nur dann als hilfreich angesehen, wenn sie der augenblicklichen gefühlsmäßigen Situation der Gruppe entsprechen und spontan aus ihr entstehen.

 

Die offene Encountergruppe nach Schutz

Die offenen Ecountergruppen nach Schutz sind beinhalten Regeln für die Gruppeninteraktion. Diese Verhaltensregeln sollen helfen, den Umgang mit sich selbst und anderen aufzuzeigen, und in vielen Bereichen, insbesondere bei der menschlichen Interaktion, zum Einsatz zu kommen. Auch Schutz bietet Richtlinien für die Gruppenführung an.


Regeln für offene und aufrichtige Kommunikation:


• Sei aufrichtig dir selbst und anderen gegenüber.
• Achte genau auf deinen Körper.
• Konzentriere dich auf Gefühle.
• Beginne beim Hier und Jetzt.


Bei Encountergruppen nach Schutz wird der Körper des Teilnehmers in die Gruppenarbeit einbezogen.
Regeln bezogen auf den Körper:


• Raum und Kleidung sollen dir ein Höchstmaß an Bewegungsfreiheit erlauben.
• Setze oder stelle dich so hin, dass du jeden in der Gruppe leicht er reichen kannst.
• Iss und trink während der Sitzung nicht.
• Immer, wenn du eine Gelegenheit findest, eine Botschaft durch den Körper mitzuteilen, dann drücke dich lieber mit dem Körper aus, als mit Worten.
• Kämpfe, wenn dir danach zumute ist.
• Ziehe dich aus, wenn dir danach zumute ist.
• Rauche nicht.
• Nimm keine Drogen.
• Trage keine Brille oder Kontaktlinsen.

 

Regeln um seine Identität zu stärken und um Mut aufzubauen:


• übernimm Verantwortung für dich.
• Mache Aussagen.
• Sei verantwortlich für deine Entscheidungen.
• Sprich für dich.
• Wende dich direkt an die Person, die du meinst.
• Vermeide Abstraktionen und vermeide nichts sagende, unverbindliche Wörter.
• Wenn etwas geschieht, was Dir nicht gefällt, übernimm die Verantwortung dafür, etwas dagegen zu tun.


Körperenergie kann eingesetzt werden um die Grenzen des Selbstkonzeptes zu erweitern.
Hierbei können folgende Regeln helfen:


• Wenn du etwas über dich sagst, was du schon einmal gesagt hast, unterbrich dich und sag etwas anderes.
• Tue das, wovor du am meisten Angst hast.


"Folge der Energie!" ist die zentrale Leitertechnik in der Encountergruppenarbeit nach Will Schutz

"Ein Blick in die Runde einer Encountergruppe zeigt die Leute in ganz verschiedener seelischer Verfassung. Einige sind entspannt, sie haben keine drängenden Probleme. Wenn sich die Gruppe auf diese Leute konzentriert, folgt meist ein langweiliger und lebloser Austausch ohne Gefühle und ohne Energie. Lebendige Gruppeninteraktionen laufen dann ab, wenn sich die Gruppe dahin wendet, wo bereits Energie ist. Wenn du als Teilnehmer dich an dir selbst festhältst und angespannt bist, kann ich mich als Gruppenleiter einem anderen zuwenden und darauf vertrauen, dass die Gruppeninteraktion dich soweit lockert, dass du später besser mitarbeiten kannst. Ich kann mich aber auch entscheiden, dir sofort behilflich zu sein, deine Defensivmechanismen zu durchbrechen. Zuerst bitte ich dich etwa, zur Entspannung Arme und Beine, die du verschränkt hast, zu lösen, aufzustehen und dich durch schütteln zu lockern und mehrere Minuten lang tief zu atmen. Wenn einzelne Körperteile besonders angespannt scheinen, können entweder ich oder ein Gruppenmitglied sie massieren. Von jetzt an achte ich darauf, wie dein Körper reagiert, wenn du sprichst und etwas tust. Ich nehme an, dass sich dein Gefühl auf den Punkt konzentriert, wo die Anspannung oder das Zucken erkennbar sind und dass es am besten ist, dort mit der Arbeit zu beginnen." (Schutz, 1977)


Vergleich Rogers/Schutz

Die Basic-Encountergruppe nach Rogers ist hauptsächlich sprachlich operiert, während die offene Encountergruppe nach Schutz mehr nichtsprachlich und körperorientiert ist. Der Gruppenleiter eines Basic-Encounter nach Rogers soll anfängliche Ängstlichkeit reduzieren und somit das Lernen begünstigen. In Encountergruppe nach Schutz gibt der Gruppenleiter Anweisungen und Anleitungen für Demonstrationen, praktische Übungen und Interaktionen zwischen Personen und Gruppen. Zahlreiche dieser Übungen sind nichtsprachlich angelegt und berücksichtigen mimischen und pantomimischen Ausdruck, sind somit mehr handlungsorientiert. Daher sind Encountergruppenarbeiten nach Schutz besser für Gruppen mit sehr viel Gruppenerfahrung geeignet. Die offene Encountergruppe ist für Anfängergruppen sowie für geschlossene Gruppen aus Institutionen ungeeignet.


Tendenzen in Encountergruppen

Ziel ist es, innerhalb der Gruppe eine psychologische Sicherheit herzustellen. Nachdem eine Reduktion des individuellen Abwehrverhaltens eingetreten und das Gefühl der Freiheit des Ausdruckes sich eingestellt hat, werden Meinungen und Gedanken freier ausgedrückt und können besser erkannt werden.
Diese wechselseitige und gemeinsame Freiheit erzeugt ein gegenseitiges Vertrauen, sodass jedes Mitglied zu einer größeren Selbstakzeptanz findet.
Durch das gegenseitige Feedback innerhalb der Gruppe erfährt jeder Teilnehmer, wie er/sie dem anderen erscheint und steigert so die Verständigung. Diese Verbesserte Kommunikation kann zu neuen Ideen, Innovationen und neuen Konzepten führen.
In der Atmosphäre, die sich nach Abbau der anfänglicher Unsicherheit und Spannung einstellt, können Gefühle, Meinungen und Gedanken frei ausgetauscht werden, jedoch kann diese Tendenz nicht allein intellektuell erfahren werden, sondern benötigt ein solches persönliches Erlebnis.

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